Es ist Sonntagnachmittag, 22. September. Dieses Wochenende beginnt – mindestens aus astrologischer Sicht – der Herbst. Und es ist Abstimmungssonntag. Soeben wurden die Abstimmungsresultate zur «Biodiversitätsinitiative» bekannt: Die Schweizerinnen und Schweizer haben heute Nein gesagt zum Anliegen, Biodiversität in der Verfassung zu verankern.
Herbstanfang bedeutet, dass jetzt für viele Hochstammbauern die Zeit der Ernte beginnt. Ja, die Kirschen haben wir schon im Sommer genossen, und die Zwetschgen und Damassine sind auch schon fast alle gepflückt. Aber die Ernte der Äpfel, Birnen, Quitten, Baumnüsse und Kastanien steht erst bevor.
Ich bin ein Mensch, der das Leben in vollen Zügen geniesst und über Genuss, Essen und Lebensfreude schreibt. Ich bin nicht berufen, politische Themen zu kommentieren. Dennoch bin ich überzeugt: Die heutige Abstimmung über Biodiversität hatte viel mehr mit Genuss zu tun, als es in den Debatten und auf den Abstimmungsplakaten sichtbar war.
Ich glaube, es ist unbestritten, dass sich das Klima verändert und wir damit vor grossen Herausforderungen stehen. Viel kontroverser wird allerdings die Frage diskutiert, wie wir auf diese Herausforderungen reagieren sollen. Viele Menschen, die sich für das Klima engagieren, mahnen mit erhobenem Finger, dass wir Menschen – mindestens hier in der sogenannten 1. Welt – einen viel zu grossen ökologischen Fussabdruck hinterlassen. Damit ist gemeint, dass wir hier mit unserem Verhalten, unserer Mobilität, unserem Konsum für mehr Ressourcenverbrauch respektive für mehr umweltbelastende Emissionen verantwortlich sind, als die Natur «verkraften» kann. Im Anschluss an das Stichwort «grosser Fussabdruck» folgt meistens eine Liste von Dingen, die wir nicht mehr machen sollten. Gerade als Genussmensch fühle ich mich häufig ertappt: Ich soll weniger reisen, ich soll weniger Fleisch essen und auch vom Käse sollte ich eigentlich die Finger lassen.
Ich bin mir sicher, dass dieses Wochenende viele Stimmbürgerinnen und -bürger selbstverständlich wussten, dass wir Biodiversität nicht nur ein bisschen erhalten, sondern massgeblich fördern sollten, sich aber vor Verboten und Einschränkungen fürchteten, die man ungern hinnimmt.
Selbstverständlich ist das Reflektieren darüber, welche Schäden wir dem Klima, der Natur zufügen und wo wir uns etwas einschränken könnten, wichtig. Viel zielführender halte ich aber die Diskussion über eine Frage, die erst langsam aufkommt: Wie gross ist mein ökologischer Handabdruck?
Statt ständig auf die Einschränkungen zu schauen, stellt die Betrachtung des eigenen Handabdrucks die Frage: Was kann ich aktiv tun, um positive Spuren zu hinterlassen? Während der Fussabdruck uns zeigt, was wir der Umwelt nehmen, zeigt der Handabdruck, was wir ihr zurückgeben können. Alle von uns haben die Möglichkeit, aktiv mit kleinen, aber bewussten Entscheidungen einen Unterschied zu machen.
Und mit dem Start der Erntezeit für die hiesigen Hochstamm-Früchte kommt eine wunderbare Gelegenheit, seinen Handabdruck zu vergrössern.
Wer jetzt Produkte mit lokalen Hochstamm-Früchten kauft, macht mehr für die Biodiversität, als man vielleicht vordergründig glaubt. Hochstammbäume speichern über ihre Lebensdauer viel CO₂, spenden viel Schatten und halten mit den grossen Wurzeln den Boden feucht. Und sie sind ein unverzichtbarer Lebensraum für ganz viele Vögel, Säugetiere und Insekten, die es aufgrund des Rückgangs der Biodiversität bei uns nicht leicht haben oder gar schon ganz verschwunden sind.
Um auch die Früchte Ihres Handabdrucks zu ernten, müssen Sie nicht selbst auf die hohen Leitern steigen. Es reicht, wenn Sie beim nächsten Einkauf – nicht nur im Hofladen, sondern vor allem auch beim Grossverteiler – darauf achten, ob der Apfelsaft, die Konfitüre, der Birrewegge oder das Fruchtjoghurt mit Hochstammfrüchten von hier gemacht wurde. Ich kann Ihnen versichern: Sie werden viel mehr feinste Delikatessen entdecken, als Sie meinen.
So fein kann Klimaschutz und Biodiversität schmecken! Und das Beste dabei: Das fühlt sich nicht nach Verzicht an, sondern nach echtem Genuss – dem Genuss, etwas Wertvolles zu bewirken.