Ende August geht auch in Italien der Hochsommer zu Ende. Italiens wichtigster Feiertag Ferragosto ist bereits vorbei und in der Nacht überzieht eine leichte Feuchtigkeit die Erde. Wer zu der Zeit in der Maremma und im nördlichem Latium statt von der Klimaanlage halb tiefgefroren mit offenem Fenster oder gar offenem Dach auf schlecht geteerten Strassen über Land fährt, der wird sich ab und an fragen, wieso es so betörend riecht. Entweder fahren Sie in dem Moment durch eine Pinienallee und Sie riechen den süsslich-harzigen Geschmack der Pinienzapfen, von welchen im kommenden Sommer die Pinienkerne geerntet werden. Oder aber Sie sehen am Strassenrand, in diesem Abschnitt zwischen der Hitze der Strasse und den dunklen Schollen der bereits grob gepflügten Acker, bis zu zwei Meter hohe, dünne Stängel mit kleinen, gelben Blüten. Dann haben Sie wilden Fenchel – Finocchietto selvatico – entdeckt.
Im Gegensatz zum Gewürzfenchel und Gemüsefenchel trifft man den wilden Fenchel hauptsächlich ausgewildert in Ländern rund um das Mittelmeer an. Er liebt unwirtliche Umgebungen und ist neben etwas zähem Unkraut die einzige Pflanze am Wegrand, welche die Hitze des Sommers ohne Pflege überlebt hat. (Erstaunlicher ist nur noch die Widerstandskraft des Oleanders, welcher nirgends so schön und üppig blüht wie im Mittelstreifen der Strada Statale Via Aurelia auf ihren letzten 200 Kilometern vor Rom)
Wenn Sie auf Ihrer Fahrt zurück vom Meer oder der romanischen Kirche am Strassenrand scheinbar liegengebliebene Ape – das kleine, dreirädrige Lastenmofa – oder alte Fiat Punto sehen, so haben die Besitzer nicht illegal ihre Gefährte entsorgt, sondern sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Suche nach Finocchietto. Beim Gemüsefenchel geht es bekanntermassen um die Wurzel, beim Gewürzfenchel um die Samen. Der Bitterfenchel, wie er auf deutsch gennant wird, wird hingegen wegen seines frischen, filigranen Laubes, das nach Anis schmeckt und vor allem wegen seiner reifen Früchte, die sich aus den gelben Doldenblüten entwickeln, gesucht und geschätzt.
Er wird deshalb als Bitterfenchel bezeichnet, weil sein ätherisches Öl im Unterschied zum Gewürzfenchel fast ein Viertel bitter schmeckendes Fenchon enthält. Dass bittere Inhaltsstoffe bei Gemüse und Gewürzen den Körper reinigen, ist eine Weisheit, welche nicht nur italienische Mammas kennen. Fenchol wirkt wachstumshemmend auf Bakterien und Pilze und belebend auf das menschliche Zentralnervensystem.
In der Küche verwendet man Finocchietto allerdings nicht nur wegen seiner Bitterstoffe, die Aromen sind nämlich deutlich vielfältiger. Zum Bitteren kommt eine herbe Süsse der Blüten hinzu, welche zusammen den Geschmack eines heissen Sommers bilden.
Die italienische Küche – vor allem in der Maremma und in der Tuscia – ist schnörkellos und konzentriert sich auf das zur Geltung bringen der perfekten Zutaten. Ein paar Stücke Lamm mit genügend Fett und ein paar in grobe Schnitze geschnittene Kartoffeln aus der neuen Ernte kommen für 1.5 bis 2 Stunden in den 160° grad warmen Ofen, wo das Fett langsam verläuft und alles mit genügend Zeit gart. Wenn Fleisch und Kartoffeln zart sind, wird alles mit etwas Meersalz, Pfeffer und grosszügig mit Finocchietto gewürzt.
Gut passen dazu auch noch ein paar Stücke Porchetta. Dafür werden grosse Sauen ausschliesslich mit Finocchietto, Salz und Pfeffer gewürzt und während 10 Stunden ganz am Spiess gebraten.
Zusammen mit Freunden isst und trinkt man bis spät Abends an der grossen Tafel und diskutiert dabei die neuesten Kapriolen der Politiker in Rom. Auch da reichen die Emotionen von bitter bis herb.