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Ein guter Jahrgang

Pietro Puglisi – «Marroni-Mann» in der zweiten Generation – röstet und verkauft seit 40 Jahren Kastanien an der Freien Strasse mit grossem Stolz und Begeisterung.

Mein erster Besuch bei Pietro war ein Reinfall. Er könne sich für meine Fragen nicht genügend Zeit nehmen, ich möge doch bitte wiederkommen, wenn seine Frau auch am Stand sei. Und tatsächlich: Obwohl es mitten unter der Woche ist und das Wetter mehr als durchzogen, entfaltet der Duft der frisch gerösteten Kastanien seine Wirkung: Die Kunden kaufen ununterbrochen «heissi Marroni» – 100 Gramm für jene, die sich selbst etwas gönnen, 200 Gramm für die Verliebten und noch ein bisschen mehr, wenn alle Kinder «Ja!» rufen auf die Frage, ob sie auch Marroni möchten.

Jeder Marktforscher würde bei der Definition der Zielgruppe scheitern. Alle haben Lust auf diesen süss-herben Boten des Herbstes: Jugendliche und Senioren, ganz Schicke und Bodenständige, eilige Business-People und gemütliche Bummler.

Woran das lieg, will ich von Pietro wissen. «La Qualità!» ist die einfache und naheliegende Antwort. Pietro arbeitet nur mit den besten Kastanien aus dem Piemont – von Hand gelesen, geschüttelt und eingeritzt.

Eine lange Tradition
Die Kastanie, genauer gesagt die Edelkastanie, gehört zur Familie der Buchengewächse und hat ihre Wurzeln im Mittelmeerraum sowie in Kleinasien. Bereits die Römer brachten sie über die Alpen, und bis ins 19. Jahrhundert war die Kastanie in vielen Bergregionen Europas ein Grundnahrungsmittel – eine unverzichtbare Energiequelle, bevor Kartoffeln und Mais ihren Siegeszug antraten.

Heute erleben Kastanien eine Renaissance, nicht nur als geröstete Marroni. Sie sind eine Delikatesse sowohl in der süssen als auch in der herzhaften Küche. Aus gutem Grund, denn sie sind auch ein echtes «Superfood»: Sie sind reich an Ballaststoffen und enthalten wertvolle Vitamine und Mineralstoffe. Durch den hohen Anteil an komplexen Kohlenhydraten sorgen sie für langanhaltende Energie, sind aber fettarm und glutenfrei – perfekt für eine bewusste Ernährung.

Mühsal in den Selven
Bis wir an einem windigen Wintertag nördlich der Alpen Marroni geniessen können, braucht es allerdings einiges an Arbeit und Hingabe. Die Edelkastanie ist nicht einfach ein Baum unter vielen anderen im Wald. Die Kastanienbäume werden über Generationen in sogenannten Selven gepflegt und bewirtschaftet. Die Bezeichnung ist unter anderem auf der Alpensüdseite und auf Korsika verbreitet und leitet sich vom italienischen «selva» für «Wald» ab. Es handelt sich dabei um lockere Haine, die umfriedet sind und oft kleinbäuerlich oder genossenschaftlich genutzt und gepflegt werden.

Das Geheimnis liegt in der richtigen Bewirtschaftung der Selven. Meistens wird im Sommer im Schatten der grossen Bäume das Vieh geweidet und im Frühherbst das Laub als Stalleinstreu genutzt, sodass der Boden im Herbst, wenn die Kastanien herabfallen, sauber und gepflegt ist und sie einfacher gesammelt werden können. In grossen Schüttelsieben werden sie dann von den spitzen Schalen befreit.

Ein gutes Kastanienjahr
Wie die anderen Exportschlager des Piemonts – Wein und Trüffel – sind Kastanien ein Naturprodukt, dessen Qualität von vielen Faktoren abhängt. War der Sommer zu nass, leiden die Kastanien unter Schädlingen oder neigen zu Schimmel. Ist der Sommer zu heiss, sind die Früchte und der Ertrag kleiner.

Pietro wechselt vom Gelato-Stand am Rhein in das Marroni-Häuschen erst, wenn er Marroni aus dem aktuellen Jahr bekommt. Dieses Jahr konnte Pietro rund zehn Tage früher das erste Mal die Holzkohle anfeuern: Das Jahr 2024 war für die Marronibauern im Piemont ein perfektes Jahr.

Aus den frisch angelieferten Jutensäcken schüttet er die Kastanien auf das grosse Sieb und rührt sie regelmässig mit der Holzkelle, bis sie sich dort, wo sie eingeritzt sind, verführerisch öffnen. Dass sich die Marroni gut schälen lassen, ist kein Zufall. Neben den hohen Qualitätsansprüchen von Pietro beim Einkauf muss auch die Lagerung einwandfrei sein: Trocken und bei genau fünf Grad, sonst verlieren die Marroni bis zum Saisonende ihre Qualität.

Während unseres Gesprächs röstet Pietro die Marroni 20 Minuten über der Holzkohle, bis ich keine Fragen mehr habe. Er gibt mir eine Handvoll zum Probieren. Und ich kann bestätigen: «Perfetto!»

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Nördlich der Alpen werden die Kastanien meistens als geröstete Marroni, glaciert als Beilage zu Wildgerichten oder als Vermicelle genossen. Im Piemont, wo die Marroni auch heute noch ein wichtiges Grundnahrungsmittel sind, werden sie auch als Zutat für herzhafte Gerichte verwendet. Pietro empfiehlt uns das «Pollo alle Castagne»:

Pollo alle Castagne – Huhn mit Kastanien und Steinpilzen

- 1 ganzes Poulet (ca. 1,5 kg), in 8 Stücke geteilt
- 200 g geröstete und geschälte Kastanien
- 300 g frische Steinpilze (alternativ getrocknete Steinpilze, dann ca. 50 g), in Scheiben geschnitten
- 2 Knoblauchzehen, fein gehackt
- 1 Zwiebel, fein gehackt
- 1 Zweig Rosmarin
- 2 Zweige Thymian
- 1 Lorbeerblatt
- 200 ml Weisswein
- 200 ml Hühnerbouillon
- 4 EL Olivenöl
- 30 g Butter
- Salz und Pfeffer nach Geschmack
- Frische Petersilie, fein gehackt, zum Garnieren

Zubereitung

  1. 2 EL Olivenöl und die Butter in einer grossen Pfanne oder einem Schmortopf erhitzen. Die Hühnerstücke salzen und pfeffern, dann auf mittlerer Hitze von allen Seiten goldbraun anbraten und beiseitestellen.
  2. Im Bratfett die Zwiebel und den Knoblauch glasig dünsten. Gegebenenfalls etwas mehr Olivenöl hinzufügen.
  3. Die Steinpilze in die Pfanne geben und etwa 5 Minuten anbraten, bis sie etwas Flüssigkeit verlieren und leicht gebräunt sind. Getrocknete Steinpilze vorher in warmem Wasser einweichen und gut abtropfen lassen.
  4. Die Pouletstücke wieder in die Pfanne geben und mit den Pilzen vermischen. Den Rosmarinzweig, die Thymianzweige und das Lorbeerblatt hinzufügen.
  5. Mit Weisswein ablöschen, die Kastanien in die Pfanne geben und alles mit der Hühnerbrühe aufgiessen. Gut umrühren und die Hitze reduzieren.
  6. Das Huhn bei niedriger Hitze zugedeckt ca. 30-35 Minuten schmoren lassen, bis das Fleisch zart und durchgegart ist. Zwischendurch umrühren und prüfen, ob genügend Flüssigkeit vorhanden ist – bei Bedarf etwas Wasser oder Brühe hinzufügen.
  7. Die Rosmarin-, Thymianzweige und das Lorbeerblatt entfernen, dann das Gericht mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  8. Das Huhn mit Kastanien und Steinpilzen auf Teller verteilen, mit frischer Petersilie garnieren und mit Beilagen wie Polenta oder Risotto servieren.

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